Tiefenbohrung: Ins heiße Herz der Erde
Glühende Gesteinsschmelze, nur zwei Kilometer unter unseren Füßen: In Island entsteht das erste Magma-Observatorium der Welt – mit enormem Potenzial für Wissenschaft, Frühwarnsysteme und nachhaltige Energie.
Glühende Gesteinsschmelze, nur zwei Kilometer unter unseren Füßen: In Island entsteht das erste Magma-Observatorium der Welt – mit enormem Potenzial für Wissenschaft, Frühwarnsysteme und nachhaltige Energie.
Magma brodelt in den Tiefen der Erde, wo Hitze und Druck das Gestein zum Schmelzen bringen – aber unter dem Krafla-Vulkanfeld im Nordosten Islands kommt es uns überraschend nah: Inmitten dieser spektakulären, von Vulkanismus geprägten Landschaft aus schwarzen und braunen Lavafeldern, einem azurblauen See und dampfenden Fumarolen stießen Ingenieure bei Geothermie-Bohrungen im Jahr 2009 in nur 2,1 Kilometern Tiefe eher zufällig auf eine ca. 900 °C heiße Magmakammer. Insgesamt drei Mal setzten die Ingenieure an – und jedes Mal traf der Bohrer auf das glühende Reservoir.
Eine Eruption hat es in dem Vulkanfeld seit 30 Jahren nicht mehr gegeben, auch wenn die Krafla bis heute ein spürbar heißer Boden ist. Der nahe gelegene Kratersee Viti – isländisch für Hölle – entstand bei einem Vulkanausbruch im 18. Jahrhundert. Und die bisher letzte Ausbruchsserie, die sogenannten Krafla-Feuer, begann 1975 und dauerte bis 1984 an. Zeitgleich begannen auch die ersten Bohrungen für das Geothermie-Kraftwerk. In der Nähe des Kraftwerks strömte immer wieder Lava aus mehreren Eruptionsspalten, und bei zwei Gelegenheiten nutzte die dünnflüssige Gesteinsschmelze dieses Ausbruchs Bohrlöcher, um an die Oberfläche zu gelangen. Das Magma in der 2009 angebohrten Kammer aber ist zähflüssig und stieg nur etwa zehn Meter im engen Bohrloch hoch, bevor es im Kontakt mit der kühlen Bohrflüssigkeit zu Gesteinsglas erstarrte.
Die ungewöhnliche Nähe des Magmas zur Erdoberfläche wollen Forschende um den LMU-Vulkanologen Yan Lavallée nun nutzen. Wer die Abenteuerromane des französischen Schriftstellers Jules Verne gelesen hat, weiß: Der Eingang zum Mittelpunkt der Erde liegt unter einem Vulkan in Island. Zwar wurde Verne vom Snæfellsjökull inspiriert und nicht von Krafla, und ganz so weit wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch nicht vordringen, aber dennoch könnte Vernes Fantasie nun ein Stück weit Wirklichkeit werden: Mit dem Projekt „Krafla-Magma-Testbed (KMT)“ soll das weltweit erste Magma-Observatorium entstehen, um in das glühende Innere der Erde zu blicken. Lavallée ist Leiter des Science and Technology Comittee dieses Vorhabens, das gezielt und absichtlich das Magma erschließen, mit verschiedenen Sensoren überwachen und nutzen will.
Yan Lavallée
Wie verhält sich Magma in der Tiefe, was passiert in der Übergangszone zum festen Gestein und gibt es Anzeichen, mit denen drohende Vulkanausbrüche besser vorhergesagt werden können? Dies sind nur einige der grundlegenden Fragen, die mit dieser geowissenschaftlichen Großforschungsanlage beantwortet werden sollen. Das Team will auch untersuchen, ob und unter welchen Bedingungen sich die heiße Gesteinsschmelze für Geothermie nutzen lässt. Magma birgt deutlich mehr Energie als „warmes Wasser“, die herkömmliche geothermische Quelle. Das Projekt wäre somit ein im Wortsinn heißer Kandidat bei der Suche nach neuen Energiequellen der Zukunft.
Die Entdeckung des oberflächennahen Magmareservoirs unter Krafla ist ein Glücksfall für die Wissenschaft, denn bis heute gibt es keine Möglichkeit, Magma eindeutig zu orten – selbst in den gut überwachten Phlegräischen Feldern bei Neapel ist die Lage der Magmakammer(n) nicht genau bekannt. Was Krafla betrifft, hält die 900 °C heiße Gesteinsschmelze neben ihrer guten Zugänglichkeit noch weitere Überraschungen bereit: Sie ist silikatreicher und damit zähflüssiger als diejenige von anderen Ausbrüchen von Krafla – die Konsistenz ähnelt zähem Teig. Wie bei allen Magmen besteht der Hauptteil der gelösten Gase aus Wasser, als weitere gelöste Gase kommen Kohlendioxid (CO2), Schwefeldioxid (SO2) oder Schwefelwasserstoff (H2S) in geringerem Maße vor. Der relativ geringe Gasgehalt vermindert die Gefahr explosiver Ausbrüche, bei denen Gase bei Druckentlastung wie Kohlensäure aus einer geschüttelten Sektflasche herausschießen und Magma mit sich reißen. Auch im obersten, kühlsten Bereich des Reservoirs finden sich kaum Kristalle – vermutlich gibt es Konvektionsströme im Inneren, die auskristallisierte Minerale immer wieder nach unten ziehen und schmelzen, während heiße Schmelze nach oben nachströmt.
Sensor im Inneren des Magma. | © KMS-TEAM / LMU
Vulkanausbrüche vorherzusagen ist eine der großen Herausforderungen der Geowissenschaften. „Derzeit setzen wir unsere Instrumente immer an der Erdoberfläche ein und können die Vorgänge in der Tiefe nur indirekt erschließen“, so Lavallée. „Aber wir müssen dem Vulkan direkt den Puls fühlen.“ Das KMT bietet die einmalige Gelegenheit, Sonden direkt im Magma zu platzieren und seine dynamischen Eigenschaften an Ort und Stelle zu untersuchen. Im Lauf der Bohrung wollen die Forschenden in regelmäßigen Abständen Proben entnehmen und Glasfaserkabel und Sensoren installieren, um Druck, Temperatur, Verformungen und seismische Aktivitäten im Gestein bis hinein in die glühende Schmelze zu erfassen.
Die Forschenden gehen davon aus, dass Magma während der Bohrung wie bei den Bohrungen 2009 einige Meter im Bohrloch hochsteigen und dort zu Gesteinsglas erstarren wird. Nach Abschluss der Bohrung wird das Ausbleiben der kühlenden Bohrflüssigkeit dazu führen, dass die Temperatur ansteigt und erstarrtes Magma wieder schmilzt und die Sensoren umfließt. „Diese Sensoren werden uns helfen, Vulkanausbrüche zukünftig besser vorauszusagen“, sagt Lavallée. „Wie wird ein Vulkan ausbrechen? Wird es ein ruhiger Lavastrom sein oder eine große, explosive Eruption? Wird der Ausbruch fünf Minuten dauern oder fünf Jahre? Bisher können wir diese Details nicht einschätzen. Möglicherweise könnten wir auch Methoden entwickeln, um die Signale unserer Instrumente an der Oberfläche besser zu interpretieren.“
Experimentelle Bohrung. | © KMS-TEAM / LMU
Yan Lavallée
In unmittelbarer Nachbarschaft der ersten Bohrung soll in einer zweiten Phase ein weiteres Bohrloch als Portal für Experimente in die Tiefe getrieben werden. Über dieses Bohrloch könnten die Forschenden beispielsweise Wasser hinab- oder hochpumpen und die Folgen beobachten. Bereits die Bohrung selbst ist ein Experiment, denn Bohrungen verursachen Druck- und Temperaturänderungen im Gestein. Über die Sensoren im ersten Bohrloch können die Forschenden erfassen, wie das Magma darauf reagiert. „Es kann kristallisieren, es kann wieder schmelzen, es kann aufschäumen“, sagt Lavallée. „Wir müssen verstehen, wie Magma sich verhält und welche Signale es an die Oberfläche sendet.“
Geothermie-Kraftwerk zur Stromerzeugung. | © KMS-TEAM / LMU
Geothermie erschließt die natürliche Wärme der Erde zur Energiegewinnung. Bisher werden dafür meist unterirdische geothermale Wasserreservoire angezapft, oder es wird kaltes Wasser in heißes Tiefengestein gepumpt, sodass es sich dort aufheizt. Grundsätzlich unterscheidet man zwei Arten der Geothermie: niederkalorische, oberflächennahe Geothermie mit Temperaturen von etwa 25 bis 60 °C in Tiefen von 400 bis ungefähr 1000 Metern sowie heiße geothermische Systeme in vulkanischen Regionen. Diese können Temperaturen von über 250 °C erreichen, wobei die Wärmequelle – das Magma – unter Krafla bis zu 920 °C heiß sein kann und an anderen Orten sogar noch höhere Temperaturen erreichen kann. Die oberflächennahe Geothermie wird in der Regel nur für Heiz- oder Kühlzwecke mithilfe von Wärmepumpen genutzt, während heißere geothermische Felder auch zur Wärmeverteilung und Stromerzeugung dienen.
Wegen der großen vulkanischen Aktivität sind die Bedingungen für Geothermie in Island besonders günstig: Das Land erzeugt rund ein Viertel seines Stroms und etwa 90 Prozent der Wärme durch Geothermie, über Bohrungen, die im landesweiten Durchschnitt eine Leistung von 5 Megawatt liefern. Auch unter dem Krafla-Vulkanfeld zirkuliert heißes Wasser, das von einem Geothermie-Kraftwerk genutzt wird, dessen Leistung bis zu 60 Megawatt beträgt. Dafür existieren zahlreiche Bohrlöcher, aus denen Dampf zur Stromerzeugung gefördert wird. Die Energie, mit der der Dampf nach oben schießt, variiert von Bohrloch zu Bohrloch und hängt im Wesentlichen von der Tiefe des Loches ab.
Magma als Wärmequelle. | © KMS-TEAM / LMU
Magma ist extrem energiereich. Es ist die Wärmequelle, die die hydrothermalen Systeme antreibt. „Warum also nicht direkt zur Quelle gehen?“, fragt Lavallée. Konventionelle tiefe Geothermie nutzt heißes Wasser aus 1 bis 2 Kilometern Tiefe mit Temperaturen zwischen 80 und 200 °C. Bohrt man in die Nähe von Magma, werden Temperaturen von über 900 °C und ein Druck von mehr als 220 bar erreicht (das entspricht mehr als dem 220fachen des normalen Luftdrucks). Unter diesen Bedingungen wird Wasser superkritisch – ein Zustand, in dem die Grenze zwischen flüssig und gasförmig verschwimmt – und schießt als heißes Hochdruck-Fluid nach oben. Die Nutzung dieses Mediums könnte die Energieerzeugung um das 10fache steigern.
Aber die Idee der Forschenden für die Geothermie der Zukunft ist noch radikaler: Sie wollen erkunden, ob und (falls ja) wie Magma in der Tiefe direkt angezapft werden könnte – ohne den herkömmlichen Umweg über geothermische Fluide. Eine Idee für die Umsetzung könnte sein, die vulkanischen Gase als Wärmeträger zu nutzen oder ein Kreislaufsystem zu etablieren, so Lavallée. „Aber vielleicht braucht es auch ganz andere, neue Lösungen.“
Bohrung in der Nähe der Magmakammer. | © KMS-TEAM / LMU
In einen aktiven Vulkan zu bohren ist nicht nur wissenschaftliches Neuland, sondern auch eine große technische Herausforderung. Seit dem Projektstart 2017 arbeiten die Forschenden an geeigneten Materialien und Methoden, der Beginn der Bohrungen ist frühestens für das Jahr 2027 angesetzt. Vorher müssen etwa Messinstrumente entwickelt werden, die den extremen Bedingungen im Inneren eines aktiven Vulkans standhalten. Zu den hohen Temperaturen und Drücken kommt noch dazu, dass der Wasserdampf in dieser Umgebung viele aggressive Verbindungen enthält. Dazu gehören Schwefel-, Chlor- und Fluorverbindungen, aus denen sich korrosive Säuren bilden, die Stahlgestänge, Leitungen und den Zement zur Auskleidung des Bohrlochs angreifen.
Steigt der Dampf nach oben, lässt der Druck nach und es fallen Silikate aus, was die Korrosion noch verstärkt. Daher werden neue Legierungen benötigt. Zudem muss die Bohrung so konzipiert werden, dass sie über Jahrzehnte hinweg stabil bleibt. Die Lösung dieser Fragen könnte sogar über die Erde hinauswirken: Die Bedingungen nahe dem Magma ähneln stark denen auf der Venus – das KMT könnte so auch neue Möglichkeiten eröffnen, Materialien für planetare Missionen zu testen.
Zwischen Magma und Gestein fällt die Temperatur überraschend schnell. | © KMS-TEAM / LMU
Besonders interessant für die Forschenden ist die Übergangszone zwischen festem Gestein und flüssigem Magma. Im Krafla wollen sie erstmals Proben sowohl über diese Grenzschicht hinweg als auch direkt aus dem Magma gewinnen, um die Eigenschaften von Magma zu untersuchen und zu verstehen, wie es mit der Zeit zu Gestein wird. Erstaunlich ist etwa ein drastischer Temperaturabfall: Erste Experimente im Labor deuten darauf hin, dass die Temperatur im Magma bei etwa 920 °C liegt. Messungen im Bohrloch nur etwa 30 Meter oberhalb der Magmakammer zeigten nur noch Temperaturen von 400 °C an.
Solch ein rapider Abfall deutet darauf hin, dass große Mengen heißer Fluide die Wärme mit erstaunlich hohen Raten nach oben transportieren. Das wirft die Frage auf, warum das Magma trotzdem flüssig bleibt, wenn Hitze so schnell abgeführt wird? Bereits jetzt hat das Projekt viele überraschende Einsichten gebracht, die bisherige Modelle infrage stellen. Lavallée ist überzeugt: „Der Zugang zu Magma durch Bohrungen wird unser Verständnis der Erde weiterhin grundlegend verändern – eine Voraussetzung, um ihre Ressourcen besser nutzen zu können."
Prof. Dr. Yan Lavallée | © privat
Yan Lavallée ist Inhaber des Lehrstuhls für Magmatische Petrologie und Vulkanologie und Direktor des Departments für Geo- und Umweltwissenschaften. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören das Verhalten von Magmen und Gesteinen und deren Rolle in vulkanischen, hydrothermalen und geothermischen Systemen.
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